Eine Jahrhunderte alte Tradition und die Geschichte von der Sau
Wenn am Freitag, den 09. September anno 2022, die Tore der dann in mittelalterlichem Glanz erstrahlenden Stadt Nördlingen den Zutritt zum Stadtmauerfest freigeben, so schreiten tausende von Besuchern hindurch und feiern Ihre Geschichte. Was zu Zeiten des rauen Mittelalters eine schwer beschützte Anlage war bildet heute beeindruckende Kulisse und Rahmen jenes Festes, die massive Stadtmauer, die so in Ihrer Form einzigartig ist und vollständig erhalten. Groß und Klein, ganz gleich welcher Herkunft und „welchen Standes“ beschreiten die ehemalige Reichsstadt und sind sich so manches Mal der Besonderheit dessen – im Anbetracht des Zeitenwandels – nicht bewusst. Denn wie vielen anderen war es auch den Grafen und Fürsten zu Oettingen nicht jederzeit gestattet mit samt Ihren Truppen des Weges zu marschieren. Wer etwas lauscht kann die jahrhundertealte Tradition des Turmwächters samt seinem Ruf wahrnehmen. Dieser war zur damaligen Zeit wichtiges Symbol zur Kontrolle und Sicherheit der Bürger.
Wenn der abendliche Ruf des Türmers auf der Spitze des Daniel ertönt erfreut das unvergleichliche Schauspiel Touristen, Besucher und Anwohner noch heute. Eine Tradition die bis weit in das 15. Jahrhundert, also mitten ins an diesem Wochenende zelebrierte Mittelalter, reicht. Die ehemals freie Reichsstadt mit der sie schützenden Mauer war eine wichtige Grenze für die Städter und wurde dementsprechend über die gesamte Zeit bewacht. Die Tore waren mögliches Nadelöhr für Gesinde und Überfälle und so wurde Ihnen besondere Achtung geschenkt. Auf allen die Stadtmauer umsäumenden Türme waren „Turmwächter“ positioniert, die sich stündlich – sprich zur vollen Stunde – zur Abklärung der noch bestehenden Sicherheit den Ruf „So G´sell, so“ zuriefen.
Die „Geschichte von der Sau“, so erzählt man sich in Nördlingen, war Ursprung für diesen Ruf. So soll es sich an einem Abend im Jahr 1440 ereignet haben, dass eine Frau für ihren Mann eine Kanne Bier holen wollte. Am Löpsinger Tor konnte sie dann wohl beobachten, wie eine entlaufene Sau ihr Hinterteil an einem Torflügel rieb und entdeckte dabei Erschreckendes. Sie sah, dass das Tor nicht fest verschlossen war. Empört stieß sie einen Schrei aus und rief „So, G‘sell, so!“. Dies galt den treulosen Wächtern auf Ihren Türmen, die das Tor hatten offen stehen lassen. Die Torwächter gestanden zum Schrecken der Nördlinger, dass sie vom Grafen zu Oettingen bestochen worden waren, um in jener Nacht das Tor nur angelehnt zu lassen, damit der Graf mit seiner bewaffneten Schar die Stadt erobern könne.
So hatte eine Sau die Nördlinger gerettet und steht noch heute als „Glückssau“ an vielen Stellen zur Erinnerung an diese „Sauerei“. Ob es sich damals tatsächlich so zugetragen hat, das weiß Keiner wirklich. Was jedoch belegt und definitiv wahr ist ist, dass 1440 zwei Torwächter wegen Verrats hingerichtet wurden.
So trägt die Stadt diese Geschichte auch in den kommenden Tagen mit durch ein rauschendes Fest, das Flair der damaligen Zeit mit im Gepäck gepaart mit der Toleranz unserer neuen Zeit.